TÖNNIES IST ÜBERALL

Die Fleischbranche steht aktuell wieder mal im Fadenkreuz. Die Probleme rund um Dumpingpreise und ausländische Billigarbeitskräfte in den Schlachtkonzernen sind altbekannt, aber nicht gelöst. Die Politik handelt nicht konsequent. Die hohe Zahl an Coronaerkrankungen in den Fleischfabriken vonTönnies, der auch bei Schalke 04 wichtige Strippen zieht, lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit kurz, aber heftig auf das Thema.
So wie vor einigen Wochen bei den Paketfahrern: „Bedingungen wie bei der Sklavenarbeit“ titelt die Wirtschaftswoche. Hier wird über längere Arbeitszeiten als notiert der Mindestlohn gerne unterlaufen, oder eben auch gleich ganz auf Scheinselbständigkeit gesetzt – mit Werkverträgen, die dafür nie gedacht waren. Auch das Löhne gar nicht bezahlt werden kommt wohl vor. Aufgeschreckt durch die mediale Aufmerksamkeit hat der Zoll eine Zeit lang verstärkt geprüft. Dies müsste aber der Normalzustand sein, nicht die medial erzeugte Ausnahme. Doch für Verstöße, beispielsweise gegen die Höchstarbeitszeit, gibt es maximal 7500 Euro Bußgeld für ein Unternehmen. Das ist ein Witz für milliardenschwere Konzerne wie Tönnies, Westfleisch oder gar Amazon.

Alles was der  Politik zu dem Thema im Herbst vergangenen Jahres sonst noch so einfiel, war der Aufbau eines flächendeckenden Beratungsnetzes. Ein nicht minder schlechter Witz. Sollen sich die Billiglöhner aus Rumänien und Bulgarien, der deutschen Sprache kaum mächtig, doch gefällig selbst über ihre Rechte und Pflichten informieren. Das Problem hat überall dieselbe Ursache: Scheinselbständige, die in Wahrheit eindeutig abhängig Beschäftigte sind, werden mit  Werkverträgen um ihre sozialen Standards gebracht: Keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, keine Sozialversicherungsbeiträge (für Arbeitnehmer und Arbeitgeber), in der Folge keine Rente, keine Arbeitslosenversicherung, oftmals keine Krankenversicherung. Und die Arbeitsschutzregelungen zählen für Soloselbständige bisher auch nicht. Natürlich gibt es keinen Urlaub und wenn die Arbeit aus ist, können die vermeintlichen Selbständigen sehen, wo sie bleiben. Hinzu kommt eine prekäre Lebenssituation, die Menschen mitten in Frankfurt am Main in Mülltonneneinhausungen leben lässt. In allen Fällen werden dubiose Billigpreise auf dem Rücken der Mitarbeiter, aber auch zum Nachteil der Sozialkassen und der Steuerzahler erreicht. Genau das muss der Staat verhindern, das ist eine seiner zentralen Kernaufgaben – der er nicht angemessen nachkommt.

Wenn Politiker – egal welcher Couleur – jetzt populistisch höhere Fleischpreise oder Pakettarife fordern, greift das nicht nur zu kurz. Es ist ein Eingeständnis von ordnungspolitischem Versagen. Das planwirtschaftliche, rein von Populismus getriebene Eingreifen in einzelne Wirtschaftsabläufe in bestimmten Branchen auf Grundlage kurzer medialer Aufmerksamkeit hat mit sozialer Marktwirtschaft und steuernder Wirtschaftspolitik nichts zu tun. Aufgabe der Politik ist es, allgemeine Rahmenbedingungen nicht nur zu schaffen, sondern auch wirksam durchzusetzen. Das über alle Branchen hinweg mit einer Politik, die zu entsprechenden selbstreinigenden Marktregulierungen führt.

Das ist der Antrieb für unsere Abmahnungen von Betrieben, die Malerarbeiten bewerben und  ausführen, ohne die dafür erforderliche Eintragung in der Handwerksrolle zu haben. Denn mit der Eintragung in die Handwerksrolle sind eben viele tarifliche Regelungen, Ausbildungsfragen und mehr geregelt. Aufgabe des Staates ist es, diese Standards wirksam durchzusetzen. Das tut er seit Jahren nicht in der gebotenen Intensität und Effizienz. Darauf wollen wir in einem Akt der Selbsthilfe durch das uns zur Verfügung gestellte Mittel aufmerksam machen.
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) und der Deutsche Gewerkschaftsbund haben das Thema gemeinsam aufgegriffen und eine sehr gute gemeinsame Erklärung zur Situation von Soloselbständigen im Handwerk verfasst. Zentrale Forderungen sind:

  • Einführung einer Altersvorsorgepflicht. Dieser Punkt ist besonders wichtig, weil hier nicht
    nur heute Beiträge hinterzogen werden, sondern morgen auch die Mittel aufgebracht
    werden müssen, um den Menschen ohne Vorsorge ein menschenwürdiges Leben zu
    ermöglichen.
  • Gesetzlicher Umfallversicherungszwang auch für Soloselbständige, damit der
    Arbeitsschutz für alle gilt und nicht zum Marktnachteil für ehrliche Betriebe wird.
    Die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung, die seit 2009 allgemein gilt, muss
    durchgesetzt werden.
  • Die gesetzlichen Regelungen müssen durch ausreichende und effiziente Kontrollen
    durchgesetzt werden. Gerade dieser Punkt ist uns zentral wichtig. Denn häufig gibt es
    ausreichende Regelungen – sie werden nur nicht durchgesetzt.

Mit diesem Papier, das dieser Innungs-Info anhängt, haben die Spitzen von Arbeitgeber- und
Arbeitnehmervertretung in großer Einmütigkeit einen Weg zu mehr Marktgerechtigkeit aufgezeigt, der langfristig wirkt. Damit heben sie sich wohltuend von dem Tages Populismus so manch eines
Bundespolitikers ab.